Nam June Paik

Passage

1986
© Nam June Paik ; Foto © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Franz J. Wamhof
Künstler:in / Künstlergruppe

Nam June Paik

Titel
Passage
Jahr
1986
Kategorie
Video
Installation
Format
Videoinstallation
Material / Technik

2-Kanal-Videoskulptur ; 13 Monitore, 2 DVD-R, 2 DVD-Player, Fernsehgehäuse, Schrank- und Regalteile, Bildröhren, Glühbirnen

Maße / Dauer
431 x 348 x 107 cm, Loop
Sammlung

ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe

Beschreibung

Aus übereinander getürmten, geöffneten alten hölzernen Fernsehschränken unterschiedlicher Größe aus den Anfängen des Fernsehens und einer schmucklosen Metallkonstruktion, die diese beiden Türme verbindet, hat Nam June Paik eine triumphbogenartige Architektur errichtet. Gekrönt wird diese von acht alten, runden Bildröhren, die mit Glühbirnen bestückt und so zu Lichtquellen umfunktioniert wurden und in der Metallkonstruktion kreisförmig um einen Monitor angeordnet sind. Der so eingefasste Monitor zeigt wie die übrigen Bildschirme, welche die alten Fernseher in den Gehäusen ersetzen, zwei unterschiedliche, mit dem Synthesizer hergestellte Videosequenzen. Auf die Innenseite der aufgeklappten Schranktüren und die Schränke selbst sind Zeugnisse verschiedener Kulturen und Epochen aufgemalt, wie zum Beispiel prähistorische Felszeichnungen, ägyptische Hieroglyphen, chinesische und koreanische Schriftzeichen.
Das Aufgreifen einer erzählerisch-gegenständlichen Gesamtstruktur wie die eines Tores ist für das Werk von Paik typisch. 1966 fügte er erstmals für seine Arbeit »TV Cross« mehrere Fernseher zu einer Skulptur in Form eines Kreuzes zusammen. Mitte der achtziger Jahre rief er die sich seitdem vergrößernde »Family of Robot« ins Leben. Diese besteht aus Fernsehgeräten, die zu anthropomorphen Gestalten zusammengefügt sind. In den Kontext dieser Roboterfamilie gehört neben den beiden, ebenfalls architektonische Formen reproduzierenden Arbeiten »Connection« und »Monument« von 1986 auch »Passage« . Während es naheliegt, erstere als Orte der Zusammenkunft dieser Roboterfamilie zu kennzeichnen, könnte »Passage« als Brücke zwischen den Kulturen verstanden werden und damit auf die mögliche Funktion des Fernsehens hinweisen, fremde Kulturen einander näherzubringen. Gelöst von ihrem architektonischen Kontext verweisen die geöffneten Fernsehschränke auf sakrale Orte: In christlichen Kulturkreisen erinnern sie an Tabernakel, in östlichen an japanische Shinto-Schreine. Der unmittelbaren Analogisierung von »Passage« mit Denkmälern wie beispielsweise Triumphbögen steht ihre verhältnismäßig bescheidene Größe entgegen.
Indem Paik für die Konstruktion einer Architektur mit öffentlichem Charakter die altertümlichen, für Privathaushalte geschaffenen Fernsehgehäuse einsetzt, werden privater und öffentlicher Raum miteinander konfrontiert. Die Monitore übertragen aber kein Weltgeschehen zum „Fernsehen“, sondern die von Paik bereits in den sechziger Jahren entwickelten synthetischen, nichtnarrativen Videosequenzen mit abstraktem Charakter, die wie tanzende Muster aussehen. Ebenso rätselhaft wie diese wirken die Schriftzeichen auf den aufgeklappten Flügeln der Fernsehschränke. Schrift und Bild verlieren hier gleichermaßen ihren kommunikativen Charakter im Sinne der gewohnten, narrativen Nachrichtenübermittlung . Paik formuliert damit nicht ausschließlich sein Misstrauen gegenüber der gesprochenen oder geschriebenen Sprache, die er als dem – auch elektronischen – Bild unterlegen empfindet . Indem er nicht nur die verschiedenen Sprachen untereinander, sondern auch die Schriftzeichen mit den Videobildern unmittelbar konfrontiert, erinnert er auch an den Stein von Rosette. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Medien nicht gegeneinander aufgewogen werden sollen, weil sie sich gegenseitig ergänzen können .Die Neuausstattung der ausgeweideten Holzfernseher mit synthetischen Videobildern, welche die alten Gehäuse zu einem neuen künstlichen Leben erweckt, lässt diese zwar doppelt antiquiert erscheinen, in der Gegenüberstellung mit den alten Schriftzeichen aber wird deutlich, wie jung das Medium Fernsehen ist. Durch die kaleidoskopartige und verspielte Buntheit der Videobilder, die eine nichtssagende und zweckfreie Scheinwelt entwerfen, wird die Bedeutung der elektronischen Medien relativiert und Kritik an ihrem unreflektierten Gebrauch 4 angedeutet .Der Titel »Passage« weist darauf hin, dass die Anfangsphase des Fernseh – und Videozeitalters durchschritten ist, während die synthetischen Videosequenzen als jüngstes Element auf noch ungeahnte künstlerische Möglichkeiten hoffen lassen, auf die es zuzugehen gilt.
Quelle: Kat. »Kunst der Gegenwart«, ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe 1997, S. 202

Autor:in

Konstanze
Thümmel

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