Kluge Effizienz, dumme Effektivität?
Nachhaltigkeit in der Smart City
Digitale Technik soll Städte zu grüneren und schöneren »Smart Cities« machen. Aber unter welchen Bedingungen ist smarte Technik wirklich nachhaltig?
VON JULIAN SCHELLONG
Mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung lebt heute in Städten, bis 2050 soll dieser Anteil auf über Zweidrittel steigen. Große Städte sind komplexe Systeme, immer scharf am Rande des Chaos. Ihr Pulsieren schafft Stress und Reibungen an allen Ecken und Enden. Ließe sich das nicht irgendwie besser steuern?
Viele Verwaltungen setzen dafür digitale, vernetzte Technologie ein, um aus einer Stadt eine Smart City zu machen. Unter dem Schlagwort der »Smart City« versammeln sich Hoffnungen, mittels technologischer Eingriffe in die Infrastruktur politische Ziele wie Nachhaltigkeit, effiziente Bürokratie oder Teilhabe zu erreichen.
Anträge per App, effiziente Verkehrsleitung und smarte Mülleimer
Die Behörden von Karlsruhe arbeiten seit mehreren Jahren daran, die Stadt zu einer smarteren City zu machen. 2017 wurde dafür das Amt für Informationstechnik und Digitalisierung gegründet. Eine der ersten Aufgaben dieses Amtes ist die Entwicklung der App »digital@KA«, eine »Multifunktions-App«, die einen unkomplizierten Zugang zu verschiedensten Dienstleistungen der Stadt bieten will. Statt mehrerer Accounts bei verschiedenen Dienststellen soll dann ein einziger Zugangsaccount für alle Dienste ausreichen. Die App befindet sich gerade in einer zweiten Testphase und soll spätestens 2021 offiziell verfügbar sein. Der Nutzen der App wird laut Amt ein einheitlicher Zugang zur Stadtverwaltung sein.
Konkreter wird das Amt in der Vorstellung des Projekts nicht. Welche städtischen Dienstleistungen nun per Smartphone zugänglich gemacht werden sollen, ob mit der App nur eine weitere Antragsannahmestelle angeboten wird oder ob interne bürokratische Verfahren reformiert werden, bleibt unklar. Stattdessen wird die App mit Schlagworten wie »Hybrides Gesamtkonzept«, »personalisierbar« oder »Open Urban Innovation« beschrieben. Hier ist offensichtlich der Weg das Ziel. Man weiß nicht genau wofür, aber es wird fleißig digitalisiert in Karlsruhe.
Jüngste Smart City-Maßnahme war ein Pilotprojekt für ein dynamisches Verkehrsleitsystem, um die Autoströme in der Stadt zu steuern. Die Stadtwerke haben dafür Daten über die Anzahl an Autos aus verschiedenen Quellen wie Wärmebildkameras oder Parkhaus-Schranken verbunden. Damit war es möglich die Verkehrsdichte (als Verkehr gilt für die Stadt ausschließlich Autoverkehr) in Echtzeit zu überblicken. Auf LED-Informationstafeln an Kreuzungen konnten Autofahrer über freie Parkplätze und Staus informiert und von verstopften Hauptadern auf Nebenstrecken gelenkt werden.
Noch ist dieses System nicht dauerhaft einsatzbereit. Die Pilotphase diente dafür, die notwendige Technologie in der Praxis auszuprobieren und auszuloten, welche Möglichkeiten zur Verkehrssteuerung sich durch diese Form der Datenerhebung auftun. Valide Aussagen darüber, ob diese großflächige Überwachung und gezielte Information von AutofahrerInnen den Verkehr in der Stadt wirklich entzerren, gibt es noch nicht. Die bisherigen Erfahrungen stimmen die Stadtwerke aber positiv, dass dies in Zukunft möglich wäre.
Ebenfalls im Testbetrieb läuft die Digitalisierung der Müllwirtschaft bei den Verkehrsbetrieben Karlsruhe. 2017 haben die Verkehrsbetriebe zusammen mit den Stadtwerken begonnen, Mülleimer an Straßenbahn-Haltestellen mit Sensoren auszustatten, die automatisch den Füllstand der Tonne erkennen und an die Zentrale der Verkehrsbetriebe melden. So sollen Entleerungsfahrten an das Müllaufkommen angepasst werden, um die Stadt sauberer und die Müllabfuhr nachhaltiger zu machen. Wenn der Müllwagen erst dann ausrückt, wenn die Eimer voll sind, spart das Arbeitszeit und Treibstoff – die Verkehrsbetriebe hoffen jährlich auf Einsparungen in sechsstelliger Höhe. Über Einsparungen an CO2 führen die Verkehrsbetriebe aktuell keine Bilanz.
Politische Technologien
So vielfältig die Zwecke sind, die mit Smart City-Projekten erreicht werden sollen, so eindeutig ist das Instrumentarium: Digitale Kommunikationstechnik, meist in kleinen, mobilen Geräten, und ein Netzwerk, dass möglichst viele Akteure und Elemente einer Stadt umfasst. Mit dieser Technik sollen Abläufe, die analog bereits ganz gut funktionieren, verbessert werden. Besser heißt dann meistens: Schneller, leichter, grüner. Insbesondere Projekte im Bereich der Infrastruktur wollen diese umweltschonender machen, indem durch effiziente Verkehrssteuerung CO2 eingespart wird.
Smart City-Projekte sind aus zwei Gründen so reizvoll: Zum einen geht es dabei um futuristisch anmutende Technologien. Diese werden auf Infrastrukturen angewendet, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie recht langweilig sind. Straßen, Behörden oder Müllabfuhren funktionieren dann gut, wenn sie nicht auffallen und der alltägliche Betrieb möglichst reibungslos stattfinden kann. Durch mehr Sensoren, LEDs und Daten wird dieser Moloch auf einmal bunter und aufregender. Und zum zweiten vermittelt Smart City-Technologie die Machtphantasie, man könne ein wuseliges System wie eine Großstadt zentral durch ein paar Hacks zum Besseren steuern. In einem Netzwerk aus Sensoren und Interfaces wird das menschliche Verhalten im Getümmel einer Großstadt zu handlichen Datenpunkten auf einem Bildschirm. In der Idee, man könnte das Handeln von BewohnerInnen in einer Smart City als Datenpunkte sichtbar machen und dann durch geschickt gesetzte Leitplanken in eine Richtung lenken, schwingt ein Gefühl von Kontrolle und Macht, das analoge Governance-Verfahren nicht bieten.
Effizienz und Effektivität von smarten Technologien
Aber unter welchen Umständen ist eine Smart City wirklich umweltschonender als eine »Stupid City«? Zunächst müssen für ein System wie das Verkehrsleitsystem oder smarte Mülleimer jede Menge Computerchips und Geräte verbaut werden. Der Abbau von Rohstoffen für die Produktion dieser Bauteile ist ressourcen- und energieintensiv. Diese Emissionen aus dem Aufbau müssten gegen die Effizienzgewinne bei der Nutzung des Systems abgewogen werden. Neben den Umweltbelastungen durch die Herstellung der Geräte stehen die zweifelhaften Arbeitsbedingungen, unter denen beispielsweise Lithium, Kobalt oder Seltene Erden für Akkus gewonnen werden. Ein Smart City-System zur intelligenten Infrastruktursteuerung müsste wahrscheinlich sehr wirksam sein und lange laufen, um die Emissionen, die beim Bau entstanden sind, wieder einzuspielen.
Ob eine Smart City letztlich nachhaltiger ist, hängt davon ab, was mit den Ressourcen geschieht, die durch effizientere Steuerung eingespart werden konnten. Bei vielen technologischen Entwicklungen, die die Effizienz von Systemen steigern sollen, kommt es zu einem Rebound-Effekt: Hierbei werden eingesparte Ressourcen an anderer Stelle verbraucht und belasten so wieder die Umwelt. Ein Beispiel für den Rebound-Effekt ist ein Haushalt, der sich einen modernen, energiesparenden Kühlschrank anschafft. Dieses neue Gerät verbraucht zunächst weniger Energie als das alte. Die Nachhaltigkeit dieser Investition hängt davon ab, was mit dem alten Kühlschrank geschieht: Wenn man diesen nun in die Garage stellt um Getränke zu kühlen, dann hängen letztendlich zwei Geräte am Netz und der Haushalt verbraucht effektiv mehr Energie. Gleiches Problem stellt sich der effizienten Steuerung von Autoverkehr: Wenn der flüssiger laufende Verkehr dazu führt, dass mehr Menschen mit dem Auto in die Innenstadt fahren, verpuffen die CO2-Einsparungen aus dem smarten Verkehrsleitsystem.
Die Nachhaltigkeit von technologischen Entwicklungen wie einer Smart City dürfen nicht anhand ihrer Effizienz, sondern müssen anhand ihrer Effektivität bewertet werden. Schaffen die neuen Geräte nur effizientere Prozesse oder werden insgesamt effektiv Emissionen eingespart? Neue Technologien sind vielleicht effizienter, aber sie sind nicht unbedingt umweltschonender. Um eine Stadt durch smarte Technologien wirklich nachhaltiger zu machen, dürfen die durch Effizienzgewinne eingesparten Ressourcen nicht für mehr Produktion und Konsum, die neue Emissionen bedeuten, ausgegeben werden. Großflächig neue Technologien wie Sensoren, Interfaces und Computer in einer städtischen Infrastruktur zu installieren ist vielleicht notwendig, um eine Stadt umweltfreundlicher machen, aber es sicher nicht ausreichend. Nicht die Technik selbst, sondern die Form ihrer Nutzung schafft Nachhaltigkeit.
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Änderungshinweis: In einer früheren Version des Artikels stand die Behauptung, das Projekt mit den smarten Mülleimern der Karlsruher Verkehrsbetriebe und Stadtwerke sei beendet. Dies ist nicht der Fall und der entsprechende Absatz wurde korrigiert.